Mein Beitrag aus dem Healthstyle-Magazin
Kennen wir es nicht alle irgendwie? Der Jahreswechsel liegt nun schon wieder gefühlte Lichtjahre hinter uns und schon wieder ist nichts aus unseren „guten Vorsätzen“ für das neue Jahr geworden. Und dieses Mal wollten wir es doch endlich anders machen. Wollten uns etwas trauen und mutig neue Wege einschlagen. Raus aus dem Hamsterrad des immer Gleichen und Gewohnten – rein in ein Leben voller Fülle und Zufriedenheit. Wir haben uns entsprechend viel vorgernommen, was es zu verändern galt. Ob nun beruflich, in unseren Beziehungen oder einfach in Bezug auf unser körperliches Wohlbefinden. Aber aus unerklärlichen Gründen stehen wir immer noch genau dort im Leben, wo wir nicht mehr sein wollten. Wie ist das möglich?
In meiner Arbeit als systemischer Coach werde ich nahezu täglich mit genau diesem Phänomen konfrontiert. Die Menschen, die zu mir kommen, wünschen sich Veränderung in ihrem Leben. Sie wollen etwas anders machen als bislang. Hierbei ist oftmals die Unzufriedenheit der treibende Motor gepaart mit dem leisen Gefühl, nicht das volle Potential des eigenen Lebens auszuschöpfen. An Wünschen, Visionen oder Zielen mangelt es hierbei in den meisten Fällen nicht. Eher im Gegenteil. Häufig gilt es zunächst die Vielzahl an Veränderungsmöglichkeiten zu ordnen. Und wenn wir dann auf ein höheres Ziel gestoßen sind, das es umzusetzen gälte, passiert paradoxerweise häufig Folgendes: Widerstand. Oder übersetzt: Eine leise Angst bahnt sich unüberhörbar ihren Weg. Da mangelt es dann nicht an Erklärungen und Rechtfertigungen, warum man dies und jenes lieber doch nicht verändern wolle. In etwa so als hätte man an Alladin´s Wunderlampe gerieben und der Geist, den man gerufen hat, erscheint dann auch. Dieser will einem vielleicht sogar die eigenen Wünsche erfüllen. Nur fällt es oftmals schwer, das in diesem Moment zu erkennen. Denn er zeigt sich in anderer Gestalt als man es erwartet hätte.
Beim Veränderungsprozess passiert häufig das, was man selbst nicht erwartet hat. Auch wenn die Motivation, endlich das Leben zu führen, das man sich wünscht noch so hoch ist, wird sie häufig ziemlich schnell ausgebremst. Sei es durch undefinierbare Ängste, veraltete Glaubensmuster oder einfach auch durch die Tatsache, dass jegliche Bewegung raus aus der Komfortzone eben auch eine Herausforderung bedeutet. Denn ohne es oft bewusst zu wissen, gehen wir ein Risiko ein. Das Risiko, das wir nicht hundertprozentig wissen können, was uns außerhalb des Gewohnten erwartet. Da können wir noch so viel planen oder uns absichern. Der Mensch ist eben immer noch ein Gewohnheitstier. Jegliche Art von Veränderung bedeutete schon zu Urzeiten eine gewisse Art von Bedrohung. Wir mögen noch so hochmodernisiert denken oder leben – gewisse automatisierte Reaktionen in Körper und Geist kann keine noch so moderne App verhindern. Umso wichtiger, diese ureigenen Mechanismen zu kennen und sich von ihnen nicht allzu sehr beeindrucken zu lassen.
Etwas verändern zu wollen im Leben bedeutet also, sich aus der sicheren Komfortzone genannt, herauszubewegen. Und das erfordert Mut.
Mut, ein gewisses Risiko einzugehen, ohne dabei in reale Gefahr zu geraten. Mut, eventuell an Grenzen zu stoßen oder über sich selbst hinauszuwachsen. Es bedeutet also auch, sich selbst gut zu kennen, um gemäß der eigenen Stärken an sein Ziel zu gelangen. Optimistisch zu bleiben, wenn es mal nicht gut läuft. Dranzubleiben und nicht so leicht aufzugeben. Sich Unterstützer oder Verbündete zu suchen. Und sich dabei immer eines vor Augen zu halten:
Sich und seinem eigenen wahren und inneren Kern treu zu bleiben.
Man selbst zu sein und für sich einzustehen.
Wie kann man mit diesem ureigenen Kern wieder in Verbindung treten? Denn häufig haben wir mit den Jahren das verlernt, was wir als Kinder noch ziemlich gut konnten. Folgende Fragestellungen können uns helfen, wieder Stück für Stück einen Zugang zu uns zu finden und unsere innere Kraft und Stärke (wieder) zu entdecken.
Was macht mich aus?
Was macht mich stark?
Was gibt mir Hoffnung?
Was lässt mich entspannen?
Was gibt mir Energie?
Woran kann ich wachsen?
Was habe ich schon alles geschafft in meinem Leben?
Und was hat mir dabei geholfen?
Wenn wir uns mit diesen Fragen gewappnet auf den Weg ins Neue und Unbekannte begeben, sind wir ein stückweit gestärkt für das, was sich uns dann zeigen mag. Denn neben Angst und Widerstand kann sich im Veränderungsprozess auch häufig ein leichter bis stürmischer Gegenwind von anderen Menschen zeigen. Insbesondere von denen, die uns nahe stehen und die es gewohnt sind, dass wir sind wie wir sind. Wenn wir uns dann aber auf neue Wege begeben und uns anders verhalten, stößt das mitunter nicht immer auf Verständnis.
Ein schönes Beispiel hierfür stammt aus einem meiner Coachings, in dem sich eine Klientin mittleren Alters beruflich komplett neu aufstellen wollte. Für sie eine richtige Mutprobe. Sie hatte erfolgreich viele Jahre im Bereich des Personalwesens gearbeitet und fühlte sich dort aber schon lange fehl am Platz, leer und ausgebrannt. In ihr schlummerte mehr und bereits ihre ersten Ideen wiesen ihr eine völlig neue Richtung. Weg vom Schreibtischjob hin zu einer sinnvollen Tätigkeit im Einklang mit der Natur und ihren eigenen Werten. Die Reaktion ihrer Familie auf ihre neuen Wünsche waren mehr als verhalten. Es war sogar so, dass, als sie zufällig an einem Bauernhof vorbeikamen und ihre Ideen nur so sprudelten, ihre ursprüngliche Freude und Energie komplett durch Gegenargumente und Zweifel ihres Partners niedergeschmettert wurden. Das kannte sie schon. Und stellte resigniert fest, dass sie wohl keine Unterstützung ihrer Liebsten auf ihrem neuen Weg erhalten würde. Früher hätte sie nun ihre Ideen verworfen und wäre auf den gewohnten eingetrampelten Pfaden weitergelaufen, um sich nicht einsam zu fühlen. Heute machte sie es anders. Sie sucht sich die Unterstützung, die sie braucht, bei den Menschen, die sie ihr geben können. Und geht von nun an mutig und gestärkt weiter ihren Weg.
Innere Freiheit bedeutet auch die Unabhängigkeit von der Meinung anderer. Für viele von uns gar nicht so leicht, insbesondere wenn man sehr viel wert darauf legt, gemocht zu werden. Natürlich will das zu einem gewissen Grad jeder von uns. Aber diejenigen, die ihre eigenen Bedürfnisse hinter die der anderen stellen, haben häufig zwei Grundängste: Die Angst vor Ablehnung und die vor Versagen.
Dahinter steckt das Phänomen des „People Pleasing“. Gerade die Menschen, denen es schwerfällt, mutig neue Wege zu gehen und zu sich und ihren Wünschen zu stehen, bringen häufig charakteristische Merkmale mit, durch die sie in der Komfortzone verharren und oft dort steckenbleiben, weil sie es anderen Menschen ständig recht machen wollen. People Pleaser sind häufig besonders nett und hilfsbereit und immer zur Stelle, wenn es darum geht, anderen einen Gefallen zu tun. Bei manchen entsteht ein regelrechter Drang danach, anderen zu gefallen. Zuverlässigkeit und vollkommene Hingabe zeichnen sie besonders aus ebenso wie die Tatsache, dass ein „Ja“ immer ziemlich leicht von den Lippen geht. Im beruflichen Kontext sind sie die vermeintlichen „Traum-Mitarbeiter“ eines jeden Chefs .
Typische Merkmale von People-Pleasern sind
- Nicht Neinsagen können
- Mit allem einer Meinung sein
- Sich für die Gefühle anderer verantwortlich fühlen
- Sich zu oft entschuldigen
- Erdrückt fühlen von den Dingen, die man für andere tut
- Eigene Grenzen für andere verschieben
- Schwach ausgesprägte Kritikfähigkeit
- Sich äußerst konform verhalten
- Enorm viel Bestätigung brauchen
- Konflikte um jeden Preis vermeiden
Neben diesen Ausprägungen, die in unterschiedlichem Ausmaß auftreten können, zeigt sich für People Pleaser auch häufig, dass sie von anderen Menschen ausgenutzt werden oder generell in toxischen Beziehungen jeglicher Art leben. Zudem sind Stress und Freudlosigkeit neben der Möglichkeit einer Smiling-Depression (lächelnde Depression) ebenfalls möglich. Betroffene verbergen ihre seelischen Beschwerden dabei hinter einer Fassade, wie mit einem einem aufgesetzten Lächeln. Diese Form der Depression ist den hochfunktional atypischen Depressionen zuzuorden. Hierbei leiden Menschen unter ähnlichen Beschwerden wie Erkrankte einer klassischen Depression mit dem Unterschied, dass sie dies vor ihren Mitmenschen verbergen und ihren Alltag scheinbar ohne Hürden meistern.
Jedoch: Nicht jeder Mensch, der nett zu anderen ist oder auf sie achtet, ist auch ein People-Pleaser. Und nicht alle People Pleaser leiden an einer Smiling-Depression. Vielmehr soll es hiermit darum gehen, sich zu beobachten, zu reflektieren und eventuell auch die grundlegende Frage zu stellen:
Lebe ich mein Leben gemeinsam mit anderen oder lebe ich ein Leben hauptsächlich für die anderen?
Weitere hilfreiche Fragen für Situationen, in denen man zum People-Pleasing neigt sind drei ziemlich simple:
- Möchte ich das tun?
- Habe ich Zeit dafür?
- Stoße ich dabei an meine Grenzen?
Sich bewusst zu werden, dass man eventuell dazu neigt, mehr auf die Bedürfnisse anderer zu achten als auf die eigenen kann neben dem heilsamen Aspekt auch erst einmal ziemlich weh tun oder unangenehm sein. Wichtig ist hierbei, sich selbst nicht dafür zu verurteilen sondern wohlwollend mit sich umzugehen. Hierbei kann man sich auch ganz wunderbar auf die Ursachenforschung begeben, um eventuell auch das innere Kind, das vielleicht zu lange nicht gehört wurde, in die Heilung miteinzubeziehen.
Folgende Fragen könnten auf dieser inneren Reise hilfreich sein:
- Wem wollte ich es damals schon immer besonders gerne recht machen oder gefallen?
- Was habe ich mir davon versprochen bzw. erhielt ich dafür als Belohnung?
- Welches Verhalten an mir wurde besonders gemocht?
- Welches Verhalten an mir wurde besonders abgelehnt?
- Bewerte ich diese Verhaltensweisen bei anderen Menschen heutzutage auch entsprechend wie ich beurteilt wurde?
- Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, was würde ich anders machen?
- Welche Vorteile sehe ich aus heutiger Sicht darin, von anderen Menschen gemocht zu werden?
- Was machen andere Menschen anders, denen es nicht so wichtig ist, gemocht zu werden?
- Was könnte ich von ihnen lernen?
Man könnte übrigens annehmen, dass sich People-Pleaser aufgrund ihrer Hingabe, Zuverlässigkeit und Empathie durch nichts aus der Ruhe bringen ließen. Aber das Gegenteil ist häufig der Fall. Da brodelt es nämlich in so manch einem wie in einem Dampfkessel der kurz vor dem Zerplatzen ist. Aber aufgrund der erlernten Anpassungsfähigkeit sowie Konfliktvermeidung bringen diese Menschen ihren Ärger selten explizit zum Ausdruck. Denn wer es nicht gelernt hat, sich Luft zu machen oder Wut zu spüren und diese konstruktiv auszudrücken, vermag auch gar nicht so leicht, diese Gefühle überhaupt selbst wahrzunehmen. Da fragt das Gegenüber dann vielleicht sogar, was denn los sei und ob man über etwas sprechen möchte aber man kann es nicht. Diese Art von Gefühlen, also die unangenehmen oder die sozial unerwünschten sind die, für die es am meisten Geduld und Achtsamkeit braucht, um wieder mit ihnen in Kontakt zu kommen.
Hierbei kann es helfen, sich regelmäßig darin zu üben, alle seine Gefühle erspüren und wahrzunehmen. Idealerweise geschieht dies wertungsfrei. Dann kann man nämlich nach einiger Zeit sehr wohl fühlen und beschreiben, welches Gefühl da gerade aufgestiegen ist. Und es im nächsten Schritt konstruktiv nutzen und für seine eigenen Bedürfnisse einstehen. Dann wird es nämlich auf einmal egal, was die anderen sagen oder denken. Man lässt sich nicht mehr so leicht davon abhalten und geht mutig seinen Weg.